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Eigenschaften im Werk von Natalie Czech

Christina Vegh


Negation der Eigenschaft

Wenn wir etwas über einen Sachverhalt, eine Person oder eine Situation erfahren wollen, stellen wir die Frage nach der Eigenschaft. Präzision wiederum, eine genaue, über die Oberfläche hinausgehende Betrachtungsweise, wird sowohl in der Kunst wie auch in der Wissenschaft angestrebt. Um diese alltäglichen Voraussetzungen, besonders aber um das unvollendete Hauptwerk von Robert Musil, "Mann ohne Eigenschaften" (1930-1942), kreist die Fragestellung in der Ausstellung von Natalie Czech im Bonner Kunstverein, die den Abschluss des Peter Mertes Stipendiums bildet.

Die vielen Seiten des Buches von Musil sind dabei kaskadenförmig zu einer raumfüllenden Installation zusammengefügt. Betrachtet man die Seiten näher, merkt man, dass die Adjektive in den Sätzen fehlen. Zahlreiche Bekannte haben auf Wunsch der Künstlerin die Eigenschaften aus den Seiten durchgestrichen. Der Mann ohne Eigenschaften ist nun im wortwörtlichen Sinn eigenschaftslos lesbar. Jede Leerstelle im Text steht für das Tilgen einer solchen und gibt umgekehrt dem Betrachter die größtmögliche Freiheit, eigene Zuschreibungen anzustellen. So schlüsselt sich ein Paradoxon auf: Das Entfernen von Eigenschaften bringt die größtmögliche Freiheit bei der Zuschreibung von Eigenschaften hervor: je mehr Auslassung, desto mehr Projektion.

Czech verfolgt die Negation als eine konstruktive Größe: Auch der Ausstellungstitel "without words would" spricht mit dem ersten Wort schon das Fehlen als solches an und lässt syntaktisch einige Worte vermissen. Es bleibt dem Leser und Ausstellungsbesucher vorbehalten, die von der Künstlerin eingeführten Lücken zu füllen: without words would - Was würde ohne Worte (geschehen)? Selbstverständlich lässt sich eine Geschichte auch ohne ihre Eigenschaften erzählen, doch darum geht es der Künstlerin nicht. Es wäre weit gefehlt, zu sagen, dass sie einen Sachverhalt ohne Eigenschaften darstellt; ganz im Gegenteil, sie negiert diese und setzt eben dadurch neue Möglichkeiten frei - die sichtbare Lücke, das Wegschneiden oder Durchstreichen, erinnert an eine frühere Existenz und animiert zu eigenen Zuschreibungen, wie das folgende Beispiel zeigt.


Eine Eigenschaft

Eine antike attische Vase im Besitz des Pariser Louvre ist in dessen Sammlungskatalog abgebildet, jedoch nicht ausgestellt. Der Beweis ihrer Existenz ist allein durch diese Abbildung plausibel. Die Form der Vase, das heißt ihre Eigenschaft, ist von der dadurch hervorgerufenen Vorstellung abhängig, wobei die Frontalansicht für die Beschreibung eines vollplastischen Objekts im Grunde nicht genügt. Czechs Anfrage nach einer umfassenderen fotografischen Dokumentation der Vase bleibt jedoch seitens des Louvre unbeantwortet. Die Künstlerin entschloss sich daher, die lediglich abgebildete Vase aus ihrem Depotdasein zu befreien und als vollplastische Keramik zugänglich zu machen. Denn geschmückt von einer Darstellung des Kampfs zwischen Herakles und Hydra steht das Objekt für das Ringen nach Unsterblichkeit. Czechs Er- oder Neuschaffung der Plastik leitet sich von dem fotografischen Dokument ab, wobei die Rückseite unbemalt, respektive leer und ohne Eigenschaft bleibt. Von einer Eigenschaft ist ein Objekt abgeleitet, dessen weitere Eigenschaften Leerstellen bleiben.

Czech verfolgt alle möglichen Spuren, um über die sie umgebende Welt Rückschlüsse anzustellen und den Betrachter daran teilhaben zu lassen. Und welches andere Medium, wenn nicht die Fotografie, wäre für eine Spurensuche besser geeignet? In jedem Kriminalroman kommt die Fotografie als Zeugnis für Ereignisse zum Zug. Sie birgt in dieser naiven Sicht für Authentizität, ist im wahrsten Sinne des Wortes Abdruck der Wirklichkeit, was auch die chemischen und physikalischen Umstände belegen: Die Bildlichkeit entsteht durch die Spuren, die ein Lichteinfall auf fotoempfindlichem Papier hinterlässt. Selbstredend ist im Zeitalter der digitalen Fotografie deren indexikalische Eigenschaft längst fragwürdig geworden. Wenn Czech in ihrem Werk Fotografie einsetzt, dann reflektiert und problematisiert sie immer auch die ihr konventionell zugeschriebenen Eigenschaften: warum ihr trauen?


Die Fotografie ohne Eigenschaften

Bei Czech handelt es sich nicht um klassische Fotografie, vielmehr sind ihre Werke stets aus zahlreichen Bestandteilen konstruiert, oftmals aus der Fotografie. Sie verwendet dabei die Fotografie weniger als eigentliche Gattung, sondern vielmehr als Material. So hat sie beispielsweise bestehende fotografische Bilder zu einer neuen einzelnen Bildaussage übereinander montiert, in der Perspektiven und Zeiteinheiten konvergieren und der indexikalische Charakter ad absurdum geführt wird. Für die Ausstellung im Bonner Kunstverein hat sich die Künstlerin einer alten fotografischen Technik bedient, die gerade vor dem Hintergrund der digitalen Bildwelt heute merkwürdig archaisch anmutet. Ähnlich wie Man Rays Erfindung der Rayografie, bei der Objekte direkt auf fotoempfindliches Papier gelegt wurden und mittels Erzeugung von Abdrücken Bilder entstanden, beinhaltet auch Czechs Vorgehen eine mechanische und direkte Spurenvermittlung, die ohne Kamera entsteht und als Fotografie ohne Eigenschaft bezeichnen werden könnte: sie verhält sich durch und durch passiv, ja rezeptiv. Czech hat in zahlreichen Kunstdepots von Museen und Galerien 48 nummerierte, geöffnete und somit staubungeschützte Glasdiarahmen deponiert, von denen wöchentlich eins geschlossen wurde. Der darauf abgelagerte Staub ist somit zwischen zwei Glasscheiben fixiert. Jedes Dia wird anschließend als "Glasnegativ" für die Vergrößerung benutzt. An zwei weiteren Orten wurde anhand von dort installierten Vergrößerern ein einziges, sich stetig veränderndes Staubbild direkt auf Fotopapier belichtet.

Czech hat es sich zur Aufgabe gemacht, Nicht-Sichtbares sichtbar zu machen. Was geschieht, wenn man in einem Raum, und in diesem Fall genauer: in einem Museumsdepot, Glasflächen hinterlässt? Es setzt sich Staub fest, und je länger man das Glas liegen lässt, desto mehr Staub wird sich sammeln. Hinzu kommt, dass in Depots, in denen viel bewegt wird, mehr Staub freigesetzt wird, als an Orten, an denen wenig Bewegung vollzogen wird. Vollkommener Stillstand allerdings ist unmöglich, etwas Staub fällt als Zeichen verstreichender Zeit immer und überall an. Bataille hat darauf hingewiesen, dass bei der Erzählung von Dornröschen genau dieses wichtige Detail immer vergessen wird: Nach dem berüchtigten hundertjährigen Schlaf der Prinzessin muss sich der Prinz nicht nur durch ein gewachsenes Dornengestrüpp kämpfen, sondern auch von einer Staubschicht darf er sich nicht abhalten lassen, wenn er sie wach küssen möchte.


Staub, Zeit, Imagination

Ausgestellt werden Bilder, die aus 25 Papierflächen zusammengesetzt sind, auf denen sich abgelagerter Staub als weiße Flusen auf schwarzem Grund abbildet. Die Reihenfolge der montierten Bilder folgt der Zeitdauer, der der einzelne Diarahmen dem Staubfangen ausgesetzt war. Die feinen Schattierungen im nun fast monochromen Bild zeichnen unterschiedliche Zeitverläufe aus. Es handelt sich um die Zeit, in der zahlreiche Kunstwerke ihr Dasein im Kunstdepot fristen. Die Ablagerung von Staub vermittelt zeichenhaft nicht nur Zeit, sondern auch die Präsenz von Kunstwerken, die einst für eine Öffentlichkeit bestimmt und angekauft wurden und heute aus unterschiedlichen Gründen in Vergessenheit manövriert werden. Rein nichts bildet sich dem Ausstellungsbesucher von ihrer Existenz ab - mit Ausnahme der Staubbild-Collagen von Czech. Welches ist eine hinreichende Eigenschaft, um von einer Existenz überhaupt ausgehen zu können? Ist der Staub die Lücke, die Leerstelle, die der Imagination freien Lauf lässt? Ist Staub eine Eigenschaft? Verhält er sich nicht wie ein Index, eine Spur? Ist das Staub-Bild dann sogar mit der Fotografie verwandt? - Ohne Eigenschaften oder mit allen Eigenschaften: Es deutet sich ein Verlust der Orientierung an, der intendiert ist.